Ja, ich bin davon überzeugt: wenn Sie einen richtig guten Vortrag oder eine mitreißende Präsentation halten wollen, müssen Sie sich auch richtig gut vorbereiten!
Wie Sie Ihr "Reiseziel" definieren habe ich hier bereits beschrieben:
Vortrag planen: Warum Sie nicht beim Inhalt starten sollten
Und mit dem ROTEN FADEN entwickeln Sie eine schlüssige Dramaturgie.
Sobald Sie allerdings vor einem Publikum stehen, müssen Sie Ihre Gedanken und Ideen auch transportieren:
Sie müssen reden!
Doch wie schaffen Sie den Sprung von der theoretischen Vorbereitung zum konkreten Tun? Mit anderen Worten:
Marcus Tullius Cicero, einer der wichtigsten Rhetoriker der Antike, gibt uns den lapidaren Rat:
"Reden lernt man nur durch reden!"
Na toll! Dann müssen wir also mit unseren Vorträgen und Präsentationen weiter vor Publikum ins kalte Wasser springen, bis wir genug praktische Erfahrungen gesammelt haben, um wirklich überzeugend und souverän zu reden?
Es gibt allerdings eine Abkürzung für diesen langwierigen Prozess. Vera Birkenbihl, die geniale Vordenkerin für gehirn-gerechtes Lernen, entwickelte eine effektive Methode: Das Sprech-Denken.
Aus der Erfahrung als Trainerin und Rednerin wußte Vera Birkenbihl, wie schwer es ist, die eigenen Gedanken nachvollziehbar für ein Publikum zu formulieren.
Darum nutzte sie das Sprech-Denken bereits bei der Vorbereitung ihrer Vorträge, indem sie ihre Überlegungen nicht zu Papier brachte, sondern laut aussprach und mit einem Cassetten-Recorder festhielt. Dahinter steht folgende Erkenntnis:
Bereits Heinrich von Kleist gibt uns in seinem Aufsatz Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden eine ganz pragmatische Gebrauchsanweisung, wie uns das Reden mit einem Gegenüber hilft, zu einer Erkenntnis zu kommen:
"Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen."
Er beschreibt im Weiteren den gesamten Prozess: in dem wir unsere Gedanken laut formulieren, sind wir gezwungen, sie auch zu Ende zu denken - und sind mitunter selbst überrascht, zu welchem Schluss wir dabei kommen. So bringen wir einen noch unklaren Gedanke durch das Reden auf den Punkt.
Ich finde es nicht nur tröstlich, dass selbst Heinrich von Kleists geniales Dichter-Hirn das Reden brauchte, um seine Gedanken zu schärfen. Die Methode zeigt uns auch, dass die besten Vorträge nicht beim Schreiben, sondern beim "lauten Denken" - also beim Reden entstehen. Der gute Cicero hatte also mit seinem Ausspruch in doppelter Hinsicht Recht.
Das Sprech-Denken ist ein wesentlicher Bestandteil in meiner Arbeit, sowohl im Einzel-Coaching als auch in meinen Workshops.
Hier nutze ich besonders gerne folgende Übung:
1. Jeder Workshop-Teilnehmer bekommt für genau eine Minute die Bühne.
2. In dieser Minute muss er eine unvorbereitete Mini-Rede halten.
3. Als Thema gibt ihm das Publikum ein Stichwort vor.
4. Er bekommt keine Vorbereitungszeit, sondern muss sofort mit seiner Rede zu diesem Thema loslegen.
5. Er darf beim Reden keine längeren Pausen machen und muss Ähhs und Ähms vermeiden.
6. Statdessen kann er jederzeit sagen: "Jetzt fällt mir nichts mehr ein", um im Redefluss zu bleiben.
7. Nach genau einer Minute bekommt er ein Zeichen und muss seinen Vortrag sinnvoll abschließen.
Sie denken jetzt sicher: Das ist ja der blanke Horroror! Ich stehe vor den anderen Teilnehmern und soll frei reden, ohne zu wissen, was ich gleich sagen werde?
Tatsächlich ist die Sprech-Denken-Übung immer wieder ein großer Spaß für alle Beteiligten.
Hier auf dem Bild bei einem Workshop mit Mentees der German Speakers Association in Berlin. Foto: Felix Behm
Beim Sprech-Denken sitzen alle im gleichen Boot. Niemand weiß, wohin die Reise geht - und das macht die Übung gerade so spannend. Keiner der Redner hat einen Vorsprung, keiner kann sich vorbereiten, sondern jeder muss mit dem umgehen, was ihm spontan zu seinem Stichwort einfällt. Und das Ergebnis ist oft überraschend gut!
Bei meinem letzten Workshop in Berlin hat keiner der Redner auch nur einmal "Jetzt fällt mir nichts mehr ein" gesagt. Stattdessen gab es jede Menge ungeahnte Wendungen und erhellende Erkenntnisse.
Probieren Sie die Übung bei Gelegenheit einmal aus. Nutzen Sie z.B. das nächste Netzwerktreffen und Sie lernen die Teilnehmer viel besser kennen. Oder wenn Sie in einer kleinen Gruppe mit Freunden oder Kollegen sind, nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit für eine Runde inspirierender Mini-Reden.
Sie können die Sprech-Denken-Übung natürlich auch für sich alleine umsetzen:
Auch wenn Sie alleine üben brauchen Sie in jedem Fall einen Zuhörer, der Sie durch seine Anwesenheit zwingt, Ihre Gedanken zu Ende zu denken und auf einen schlüssigen Punkt zu kommen.
Darum nehmen Sie sich einen virtuellen Zuhörer zu Hilfe: Ihr Smartphone verfügt sicher über eine App für Sprachmemos. Die erfüllt die Funktion des virtuellen Zuhörers ganz hervorragend.
Mit dem Timer Ihres Smartphones stellen Sie sicher, dass Sie die Redezeit von einer Minute einhalten.
Wenn Sie sich mit der Vorgabe des Stichworts selbst überraschen wollen, gehen Sie wie folgt vor:
1. Nehmen Sie ein Buch, eine Zeitschrift oder den Text einer Website, schließen Sie die Augen und deuten Sie auf einen Punkt im Text. Das nächstliegende Substantiv ist Ihr Stichwort.
2. Nun starten Sie zuerst die Aufnahmefunktion Ihres Smartphones.
3. Starten Sie dann den Timer und beginnen Sie nun Ihre unvorbereitete Rede.
4. Auch hier dürfen Sie beim Reden keine längeren Pausen machen und müssen Ähhs und Ähms vermeiden.
5. Wenn Sie stocken, sagen Sie "Jetzt fällt mir nichts mehr ein", um im Redefluss zu bleiben.
6. Sobald der Timer abgelaufen ist, schließen Sie Ihre Rede.
7. Jetzt stoppen Sie die Aufnahme und hören Sie sie an.
Ja, das Anhören gehört unbedingt zur Übung, auch wenn Sie sich das vielleicht lieber ersparen wollen - da müssen Sie jetzt durch!
Wenn Sie diese Übung zum ersten Mal machen, werden Sie tausend Dinge finden, die Sie stören. Schon der Klang der eigenen Stimme ist irritierend, Sie hören, wie häufig Sie Ähh sagen oder Formulierungen wiederholen.
Lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Mit diesen Dingen können Sie sich befassen, wenn Sie die Übung in nächster Zeit öfter machen. Denn dann werden Sie sehr schnell einiges davon abstellen (einfach weil Sie es leid sind, es sich immer wieder anhören zu müssen ;-)
Im Kern geht es bei der Übung vor allem darum, Ihre Gedanken immer besser zu formulieren. Denn die Aufnahme zeigt Ihnen, wo Sie einen Gedanken zwar angefangen, aber nicht zu Ende gebracht haben.
Am besten, Sie starten gleich Ihre nächste Mini-Rede. Sie müssen nicht zwingend mit einem neuen Stichwort / Thema an den Start gehen. Denn wenn Sie mehrfach zu einem Thema sprechen, werden Sie schneller eine Verbesserung feststellen.
Wichtig ist allerdings, dass Sie jedes Mal den Timer laufen lassen, denn nur so entwickeln Sie auch ein Zeitgefühl. Eine Eigenschaft die vielen Rednern leider komplett abgeht - zum Leidwesen des Publikums.
Sie können natürlich die Zeitvorgabe auch erhöhen, und mal mit 2 oder 3 Minuten arbeiten. Mehr als 3 Minuten sind bei dieser Übung allerdings nicht produktiv, weil Sie dann zu tief in die Themen einsteigen.
Nutzen Sie längere Zeitvorgaben, wenn Sie mit der Methode des Sprech-Denkens an einem Vortrag oder einer Präsentation arbeiten.
Gerade wenn Sie gefordert sind, in 7, 15 oder 20 Minuten mit Ihrem Thema auf den Punkt zu kommen, ist die Methode extrem hilfreich, weil Sie dann auch ein Gefühl dafür entwickeln, wie viele Gedanken sie in der vorgegebenen Zeit wirklich transportieren können.
Die Methode des Sprech-Denkens ist der ideale nächste Schritt, wenn Sie bereits eine Struktur für Ihren Vortrag oder eine Präsentation entwickelt haben, und nun an die Ausformulierung Ihrer Stichworte gehen wollen.
Wie ich im ROTEN FADEN schon beschrieben habe, sollten Sie Ihren Vortrag nicht am Schreibtisch in einem Word-Dokument runterschreiben, sondern laut formulieren und dabei die Kernsätze auf Moderationskarten festhalten.
Am produktivsten sind Sie dabei, wenn Sie die Sprech-Denken-Methode anwenden und die Einzelnen Abschnitte Ihres Vortrags mit Ihrem Smartphone aufnehmen.
Im Idealfall arbeiten Sie dabei mit konkreten Zeitvorgaben oder lassen die Stoppuhr mitlaufen. So bekommen Sie einen Überblick, wie lange die einzelnen Teile Ihres Vortrags sind, und wo Sie dringend kürzer werden müssen (Wenn Sie z.B. bei einem 20-Minuten-Vortrag schon fast 10 Minuten für die Einleitung brauchen, haben Sie zu viele Inhalte an den Anfang gepackt ;-)
Die Sprech-Denken-Methode ist also nicht nur ideal, um das freie Reden zu lernen - sie ist auch das beste Tool, um von einer Dramaturgie in Stichworten zum ausformulierten Vortrag zu kommen.
Sie vermeiden dabei, vorformulierte Sätze auswendig zu lernen, sondern eignen sich die Fähigkeit an, Ihre Gedanken beim Reden vor Publikum zu entwickeln.
So schaffen Sie den Sprung von der theoretischen Vorbereitung zum konkreten Auftritt und lernen tatsächlich das Reden durch Reden.
3 Kommentare
Je öfter man sie macht, desto besser versteht man den Satz: "(erst) Übung macht den Meister ..."
;-)
Und ja, das ist eine Frage der Übung. Reden lernt man beim Reden; Reden zu halten, indem man… Reden hält. Dabei ist das Reden und Halten viel wichtiger als der Inhalt als solcher.-
Es geht um Rhythmus, Struktur, Intonation… alles Übungssache, wie Radfahren. Just Do It!
NB: Auch nett ist PowerPoint Karaoke, wo man den Inhalt eines unbekannten Folien-Sets voller Ernst präsentieren muss.
Zum anderen ist Drauflosreden so gut, weil so der Nebel der Gedanken zu Tropfen der Erkenntnis gerinnt. Ich benutze etwas Ähnliches, den Schreib-Sprint, wenn ich an das rankommen will, was an Wissen und Ideen schon in meinem Kopf steckt.
Zwei Sprints (je max. 10 Minuten) sind manchmal genug, um damit ein ganzes Whitepaper zu füllen.
vielen Dank für deine Ergänzungen! PPT-Karaoke ist klasse, liebe ich sehr. Die Schreibsprints kannte ich noch nicht, die sollte ich wohl mal für meine nächsten Blogbeiträge nutzen - dab brauche ich nämlich weit mehr als 20 Minuten ;-)
Was denkst du?